Chile/Schweiz:
Stephan Schmidheiny, Schweizer Pionier des Oeko-Unternehmertums, ist
drittgroesster Holzproduzent in Chile. Und wird angegriffen. Zu Recht? Zu
Unrecht?
Prinzipielle Ueberlegungen zu den Thema Oekonomie, Moral und Praxis.
*
Es geht um Land. Ein riesiges, weites, leicht gewelltes Huegelland, bewohnt
von Indianern, bewachsen von einem der groessten Urwaelder der Erde, mit
einem freundlichen Klima, aehnlich wie im Tessin. Viele Invasoren versuchten
es einzunehmen: erst die Inkas, dann die spanischen Eroberer. Jahrhunderte
lang scheiterten sie alle. Stephan Schmidheiny schaffte es in siebzehn
Jahren.
Seine Waffe war die sauberste und effizienteste: das Scheckbuch. Er begann
1982 mit 4000 Hektar, uebernahm 1987 die Aktien der Compañia de Acero del
Pacifico (CAP), einer Gesellschaft, die von Augusto Pinochet privatisiert
worden war, und kaufte sich durch die neunziger Jahre: Heute ist der
Schweizer Financier, Milliardenerbe und Exindustrielle Stephan Schmidheiny
einer der groessten Grossgrundbesitzer Chiles: 120 000 Hektar Wald, eine
riesige gruene Flaeche. Das Unternehmen, eines von vielen im verschachtelten
und immer wieder neu gruppierten Imperium Schmidheinys, heisst nun nicht
mehr CAP, sondern Terranova, ist einer der drei groessten Holzproduzenten
des Landes (Gewinn 2001: 21 Millionen Dollar) und laut eigener Einschaetzung
der Nachhaltigkeit verpflichtet. Der Haken an der Sache sind die Verteidiger
des Landes: Auf den Gebieten der Holzfirmen leben 350 000 der 1,2 Millionen
Mapuche, jenes Volkes, das sich bis Ende des 19. Jahrhunderts gegen alle
Invasoren wehrte. Sie lebten je nach Region von Fisch, Jagd, bescheidener
Landwirtschaft. Sie waren gute Krieger und noch bessere Diplomaten. Ihre
Staerke (gerade in der Diplomatie) beruhte darauf, dass sie sehr dezentral
organisiert waren: in Drei- bis Dreihundert-Familien-Gemeinschaften.
Bei Gefahr wurden Buendnisse geschlossen, untereinander sowie mit Chile und
Argentinien gegen die Spanische Krone und umgekehrt. Da sie weder Hauptstadt
noch Koenig kannten, konnten sie als einziges Indianervolk nicht erobert
werden: Voruebergehend hatten sie sogar offiziell einen souveraenen Status:
Araukanien. Der Niedergang begann mit der Gruendung der Nationalstaaten
Argentinien und Chile, welche die Mapuche auf beiden Seiten in die
Minderheit versetzte. Der systematische Terror begann 1973 mit dem Putsch
von Augusto Pinochet. Achtzig Prozent der Verfolgten waren Mapuches;
unzaehlige wurden verhaftet, ermordet, vertrieben.
Ein Diktator
Augusto Pinochet war der Schirmherr des chilenischen Wirtschaftswunders, ein
Politiker der Freiheit, jener des Marktes. Chile galt als Folterland wie
auch als das erfolgreiche Experiment des Neoliberalismus: Alles wurde
konsequent privatisiert, Strom, Wasser, Bodenschaetze (gigantische
Kupferminen), Bildung, Rente, alles. Nur musste es zuvor beschlagnahmt
werden: Den Mapuches etwa wurden per Gesetz oder durch Betrug (etwa mit
Daumenabdruck auf einen angeblichen Mietvertrag, der sich dann als
Verzichtserklaerung entpuppte) riesige Gebiete verstaatlicht. Und darauf
wieder privatisiert. Danach, ein wenig gegen die neoliberale Lehre, wurden
die Unternehmen subventioniert: etwa der flaechendeckende Anbau von
Eukalyptus- und Kiefern-Monokulturen. Der chilenische freie Markt, da sind
sich seine Befuerworter und Gegner einig, waere ohne politische Diktatur
nicht moeglich gewesen. «Der Drittweltstaat, der sich fuer eine liberale,
freie Marktwirtschaft entscheidet, muss ein starker Staat sein», so
Schmidheiny, einer seiner Befuerworter.
Zwei Haeuptlinge
Incomindios ist eine mittelkleine, nichtstaatliche Organisation (NGO) mit
1000 Mitgliedern. In der Juni-Ausgabe ihres Newsletters warf Arne Baurecker
Schmidheinys Firma Forestal Millalemu folgende Dinge vor:
* Die Rodung von 200 Hektar Keule-Wald 1998 (Keule ist eine so seltene
Pflanze, dass in einem Fachbuch nur die Ortstafel des Ortes Queule
abgebildet wird, mit der Bemerkung: «Hier muss einmal Keule gewachsen
sein.»)
* Versuche mit genmanipulierten, schneller wachsenden Kiefern, welche gegen
die Knospenmotte resistent sind.
* Die Verwendung von Agrargiften.
* Zusammenarbeit mit der Repression. (So wurde bei der Raeumung der Parzelle
Sta. Elisa im Januar 2001 einem 12-jaehrigen Maedchen in den Ruecken
geschossen. Nachdem die Familie klagte, entfuehrten und bedrohten
Paramilitaers das Maedchen. Das Auto des Anwalts ging in Flammen auf.
Forestal Millalemu kommentierte trocken: «Es ist eine ganz normale
Angelegenheit, dass geraeumt wird»)
* Kiefer-Monokulturen so weit das Auge reicht. Diese wachsen in dem
praechtigen Klima zehn Jahre schneller heran als in Europa, saugen aber
enorm viel Wasser aus dem Boden; ihr Spitzname ist «die gruene Pest».
* Elf schwelende Landkonflikte mit den Mapuches um insgesamt 1225 Hektar
Land. Brisant ist das aus zwei Gruenden:
Erstens weil Forestal Millalemu die zweite Firma in Chile mit einem
FSC-Label ist, dem renommiertesten international gueltigen Label fuer
oekologische Holzwirtschaft. (Migros, Ikea etc. verkaufen nur FSC-Holz.)
Zweitens weil Schmidheiny der oekologische Vorzeigeunternehmer ist (oder
zumindest war). Stephan Schmidheiny war Anfang der neunziger Jahre ein Star:
Er hatte einen Umwelt-Bestseller geschrieben «Kurswechsel» und galt als der
erste Grossindustrielle, der Oekologie als Faktor der Oekonomie propagierte.
In den Umweltgipfel in Rio 1992 investierte Schmidheiny zwanzig Millionen
Franken und war Sprecher einer Gruppe von 48 Grossunternehmern, die
nachhaltiges Wirtschaften versprach. Er hielt jahrelang Reden, in denen er
Oekologie, radikales Umdenken sowie tiefere Steuern und liberalisierte
Maerkte forderte: je nach Aktualitaet nach dem Modell Japan, England,
Neuseeland, Chile. Wenig spaeter holte ihn das Familienerbe ein:
Gerichtsverfahren, riesige Sammelklagen, teure Vergleiche wegen
krebserregender Asbestfabrikation eine unendliche, unendlich teure
Geschichte, auf die Stephan Schmidheiny defensiv, wuetend und beleidigt
reagierte. (War nicht Schmidheiny als einer der ersten Unternehmer aus dem
Geschaeft ausgestiegen? Wenn auch erst nach zwanzig Jahren? Hatte er nicht
dutzende gemeinnuetziger Organisationen unterstuetzt? Den Begriff
Nachhaltigkeit gepraegt? In Rio gesprochen?)
Wie auch immer, Terranova, die Dachgesellschaft von Forestal Millalemu,
reagierte fast postwendend: Man habe sich zwar an gentechnischen
Experimenten beteiligt, aber ohne Absicht, die Ergebnisse je umzusetzen, man
habe nie Keule abgeholzt (was wahrscheinlich nicht stimmt, da es im
FSC-Maengelkatalog erwaehnt wird), man habe nie Urwald gerodet (was
Incomindios bestreitet), man habe immer das Gespraech mit den Mapuches
gesucht, sie beschaeftigt, Schulen gebaut, man habe dreimal Land
zurueckgegeben: Sta. Elisa (wo die Geschichte mit dem Maedchen stattfand)
habe man 200 Hektar verpachtet, der Indianerbehoerde 44 Hektar verkauft, der
Gemeinschaft von Juan Maica 37 Hektar ueberlassen.
Vier Berater
So weit die Geschichte. Es bleiben diskutierbare Fragen: Ist Forestal
Millalemu passabel oder ein Schurkenunternehmen? Schmidheiny Pionier oder
Heuchler? Das FSC-Label sinnvoll oder Persilschein? Die Kooperation von NGOs
mit Industrie erfolgreich? Und fuer wen?
Arne Baurecker, Incominidios: «Der WWF verteidigt vehement die
FSC-Zertifikation. Nur: Das FSC-Label ist schon tauglich, es fragt sich nur,
fuer was. Zum Schutz der Mapuche jedenfalls nicht. Forestal Millalemu gibt
sich als die beste der Holzfirmen. Aber sie ist es nicht. Keine dieser
Holzfirmen genuegt dem Standard. Der WWF muss endlich entscheiden.»
Damian Oettli, WWF: «Das FSC-Label ist kein Premium-Label, nicht top of the
cream, es ist ein Realo-Instrument. Es setzt Auflagen beim Raubbau und im
Umgang mit der indigenen Bevoelkerung. Forestal Millalemu zu verteidigen ist
nicht unser Hauptinteresse. Aber verglichen mit anderen ist die Firma noch
der am wenigsten ueble Spieler. Ausserdem kann ein Label nicht die Konflikte
von Jahrzehnten loesen. Das seltsame Fakt bleibt, dass Firmen, die sich
bemuehen, sich ins Schaufenster stellen und damit in der Oeffentlichkeit
angreifbarer werden als Firmen, die kaltbluetig herumsauen.»
Hans-Ulrich Spiess, Exvizepraesident von Terranova: «Mit grossen NGOs wie
dem WWF haben wir nie Probleme gehabt. Eher mit der Presse, die bei Stephan
Schmidheiny jede Kleinigkeit aufbauscht ... Die Mapuche argumentieren mit
der Vergangenheit wie die Irlaender: ueber hundert Jahre zurueck. Unsere
Politik war immer: Wir wollen legal und mit allen in Frieden leben. Gesetze
sind Sache der Politik. Ja, der ehemalige Terranova-Praesident Hernán Buechi
war fuenf Jahre Finanzminister - der Vater des chilenischen
Wirtschaftswunders, ein Spitzenmann, sehr korrekt, vorbildlich. Wir haben
uns oft ueber seine Zeit unter Pinochet unterhalten: Wenn Chaos ist, muss
eine starke Hand regieren. Die ganze Folter von Unschuldigen ... die haette
nicht sein muessen. Aber in Chaoslaendern wie Chile konnte es wohl nicht
anders gehen. Die Alternative war ein totaler Buergerkrieg.»
Andreas Missbach, "Erklaerung von Bern" (Anm. akin: eine
globalisierungskritische Organisation in der Schweiz): «Der Konflikt hier
ist typisch: Sehr oft stehen die Lokalbevoelkerung plus kleine NGOs gegen
eine grosse Umweltorganisation, die dem Thema eine andere Richtung geben
will. Das ist sackbrutal, aber die Realitaet. Keine Ahnung, wer Recht hat.
Labels sind prinzipiell nur die zweitbeste Loesung. Besser waere staatliche
Kontrolle. Aber da kann man lang warten. Oft muss das Management die
Gebt-mir-eine-Kettensaege-Arbeiter bremsen, teils empfinden die Locals
Umweltschutz als Schikane und amerikanischen Imperialismus. Im Prinzip finde
ich es richtig, dass einsichtigen Unternehmen Anreize gegeben werden, etwa
Absatzkanaele. Was Schmidheiny angeht, muss man wissen, dass Anfang der
neunziger Jahre noch kein Widerspruch zwischen Oekologie und Neoliberalismus
sichtbar war. Es war Konsens, dass weitsichtige Leader sich mit der Umwelt
beschaeftigen. Das war auch der Punkt beim Gipfel in Rio. Damals hat es
zwischen Nord-Umwelt-NGOs und Sued-NGOs, die das Soziale betonten, gewaltig
gekracht. Im Prinzip bedeutet der Schutz von Umwelt noch nicht den Respekt
der Menschenwuerde. Schmidheinys Verdienst war es, den Begriff
Nachhaltigkeit populaer zu machen.»
«Damals», sagt Missbach, «war das ein brauchbarer Begriff. Nur ist die
Diskussion heute weiter: bei Globalisierungskritik und sozialen Faktoren.
Das ist das Perverse beim Global Compact der Uno: Bezieht man Kritik und
Soziales ein, bekommt man sehr schnell Probleme mit der Profitmaximierung.
So bleibt den Unternehmen nichts, als gut aussehende Hochglanzprojekte zu
sponsern. Schmidheinys Vision von Gruen pur ist heute voellig aus der Debatte; seine Nachhaltigkeit toter Begriff, voellig platt gewalzt von
Unternehmens-PR-Buden, die gar nichts mehr damit meinen. Immerhin, er tat einmal den ersten Schritt. Er war der Held, okay, aber ging nicht weiter.
Heute schmollt er in der Ecke als beleidigte Diva. Fuer einen Milliardaer ist ein George Soros da viel subversiver.» In der Tat gibt Stephan Schmidheiny keine Interviews mehr, seit ihn ein Kulturredakteur des «Wall
Street Journal» statt ueber sein Lieblingsthema Philantropie ueber
Asbesttote befragte. Von der Million Mapuches leben inzwischen 44 Prozent in
Santiago, meist als Hilfsarbeiter. Chiles RentnerInnen, die nach der
Privatisierung nur noch Aktiendepots hielten, sind pleite. Die Wirtschaft
stockt; die Arbeitslosenrate betraegt 9,1 Prozent. Schmidheiny selbst jettet
von Domizil zu Domizil um die halbe Welt. Er ist 58 Jahre alt, und sein
Vermoegen wird auf fuenf Milliarden Franken geschaetzt. (Constantin Seibt,
WoZ, 4.11.2003)
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